icon home
icon home
icon home
icon home

4. Als die Gletscher sich zurückzogen

 
Es ist noch gar nicht so lange her. Damals, vor etwa 15 000 Jahren, in Mitteleuropa lebten schon seit Jahrtausenden Menschen, war das Saastal von einer dicken Eisschicht überzogen. Vom Allalin und Dom, Weissmies und Fletschhorn wälzten sich gewaltige Eismassen zu Tal. Saas Fee lag fast 700 m unter kompaktem Eis. Auch das Saastal war hunderte von Metern unter einem Iangen Eisstrom begraben. Der Talgletscher wälzte sich in Richtung Visp, wo er sich mit dem mächtigen Rhonegletscher vereinigte. Dann, vor etwa 14000 Jahren, zogen sich die Eismassen langsam zurück. Zuerst der Rhonegletscher, der weit ins Genferseebecken hinausstand. Er zog sich innert Jahrhunderten ins Rhonetal zurück. Zuerst war Villeneuve, dann Sitten, später Visp und Brig eisfrei geworden. Auch die gewaltigen Visper Gletscher, als mächtiger Eiswulst über Visp drohend, verzogen sich ins Talinnere. Bald trennten sie sich in Stalden. Vor 7000 bis 10000 Jahren war das Saastal bis hoch hinauf eisfrei. Die Landschaft, zuerst von Schlamm und zurückgelassenem Gletschergeröll trostlos wüst und steinig, veränderte jetzt ihr Gesicht. Sie wurde grün. Moose, Flechten, Zwergweiden siedelten sich an. In einem rauen, feuchtnebligen Klima, durch lange Winter und kurze Sommer geprägt. Pflanzen, die vor dem kälteren Klima ins Tiefland abgewandert waren, stiessen wieder vor. Sie hatten Steppencharakter, wie er heute noch in Asien und Sibirien anzutreffen ist. Und weil der Gletscherrückzug in Schüben erfolgte - Rückzug und Vorstoss folgten sich -, machte die Vegetation diese Bewegungen mit. Einmal stiess sie vor, einmal zog sie sich zurück. Übrigens: Noch heute siedeln auf der Alpenblumen-Promenade Pflanzen jener Steppenepoche.
Mit dem Verschwinden der Gletscher und der mächtigen Eiszonen in Mitteleuropa änderte sich auch das Klima. Die Sommer wurden heiss und trocken, die Winter kalt. Die Flora war jetzt reicher. Aus dem Nordosten des Schwarzen Meers wanderten Steppenpflanzen ein. Die Römer nannten dieses Meer den Pontus, weshalb diese Flora auch die pontische Flora genannt wird. Typisch waren, Pflanzen mit steifen, zähen Stängeln und die schmalen, borstenförmigen Blätter. Wie Borstgras (Faxe) und die Alpen-Scharte über Saas Grund. Sie lieben trockene, sonnenverbrannte Standorte, von denen es über Saas Grund genügend gibt. Diese Steppenvegetation hatte den Nährboden für spätere Pflanzen vortrefflich vorbereitet. Eine dicke Humusschicht war entstanden. Mit der weiteren Erwärmung des Klimas wanderten jetzt auch mehr und mehr Pflanzenarten aus dem Westen und Südwesten ein. Sie waren hier nicht neu, hatten sie doch schon in den Südwesten ein. Sie waren hier nicht neu, hatten sie doch schon in den wärmeren Zwischeneiszeiten gesiedelt. Jetzt kehrten sie wieder zurück. Zwar wirkten die westost-orientierten Riesen der Walliser Alpen wie eine Barriere. Immerhin bildeten die Vispertäler durch ihre Öffnungen gegen Süden — hier herrschen heute noch südliche Klimaeinflüsse vor — guten Zugang für windgetragene Samen. Aber auch über das offene Rhonetal war ein gutes Durchkommen. Jedenfalls waren insbesondere die wärmedurchfluteten Vispertäler mit ihrem mediterranen Klima vorzügliche Siedlungsorte für wärmegewohnte Pflanzen. Zuerst eroberten die Waldbäume die feuchten Talböden und die Talflanken. Die Sonnenhungrigsten unter ihnen siedelten dort, wo am wenigsten Konkurrenz zu befürchten war. Arven und Lärchen bildeten die Waldgrenze. Sie kamen nach den Kiefern und Birken, die heute noch in Höhenlagen mit guter Feuchtigkeit anzutreffen sind. Ihnen folgte die Haselzeit, die auf feuchteres, kargeres Klima schliessen liess. Bald wechselte die Vegetation zum Laubmischwald aus Eichen, Erlen und Buchen. Vor ca. 2000 Jahren ist auch diese Vegetationsphase zu Ende. In den Vispertälern wechselt die Vegetation, die Täler sind jetzt von einem dichten Fichten-/Tannenwald bedeckt.
Heute sind die rund 25 Gletscher im Saastal mit wenigen Ausnahmen fast an ihren Ausgangspositionen der letzten Warmzeit angelangt. Mit Ausnahme der mächtigen Fee- und Weissmies-/FIetschhorngletscher. Noch zeigen aber die vom Eis freigelegten Flächen typische Merkmale der verschwundenen Eismassen. Auf Kreuzboden geht man auf alter Gletscher- Grundmoräne. Blickt man in die Höhe, sieht man die mächtigen Seitenmoränenwälle vergangener Gletscher-Rückzugsphasen. Auch alte Endmoränenwälle, meist von Gletscherbächen aufgebrochen, deuten sich noch an. Bis zur Triftalp hinunter reichte eine gewaltige Gletscherzunge, die dort den heutigen Taleinschnitt mit einem gigantischen Erdmoränenwall absperrte. Wie eine hundert Meter hohe Staumauer. Dahinter staute sich ein Gletscherschluss-See. Mit der Zeit wurde dieser Moränenwall vom Wasser aufgeweicht, unterspült und durchbrochen. Dann stürzte sich das Wasser in einem mächtigen Schwall ins Tal. Der Moränenwall ist heute verschwunden. Das Gletscherwasser hat ihn in emsiger Arbeit Stück für Stück abgetragen und ins Tal gespült. So, wie die Menschen den sich zurückziehenden Gletschern gefolgt sind und das vom Eis befreite Land zur Nutzung erobert haben, verhielten sich auch die Pflanzen. Sie sind vorgestossen. Sie haben freie Flächen besiedelt, die Klimaverhältnisse einzelner Geländekammern und -zonen für ihre Lebensgemeinschaften besetzt und genutzt. Sie sind je nach Klimagunst eingewandert oder ausgezogen. Sie haben als typische Pioniergesellschaften Neuland in grossen Höhen erobert oder sind unter Ungunst von Klima, Witterung und Konkurrenzpflanzen zum Aussterben resp. zur Flucht verurteilt worden.